Aufbruch jetzt

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Bevölkerungswissenschaftler Prof. Herwig Birg. (Foto: Binder)

Aufbruch jetzt ist ein Projekt der niederbayerischen Landräte und Oberbürgermeister, um die Region für den Wettbewerb um Arbeitskräfte rüsten. Es wurde am 1. Februar 2011 in Deggendorf gestartet und soll bis zum Sommer 2011 Ideen bringen, wie sich Niederbayern trotz des Bevölkerungsrückgangs gegenüber den Großstädten behaupten kann.

Über das Projekt

Der Sprecher der niederbayerischen Landräte und Oberbürgermeister, Christian Bernreiter (Landrat von Deggendorf), machte deutlich, dass bei dem Projekt Vorschläge herauskommen sollen, die dem Gutachten des von der Staatsregierung eingesetzten Zukunftsrats entgegengestellt werden sollen. Der Zukunftsrat hatte empfohlen, sich bei der Weiterentwicklung Bayerns auf Großstädte als „Leistungszentren“ zu konzentrieren. „Damit geht der Kampf Stadt gegen Land um die Arbeitskräfte los“, meinte Bernreiter. Er betonte die Geschlossenheit der Landräte und Oberbürgermeister Niederbayerns bei dem Ziel, eigene Vorschläge zu entwickeln, wie der Bezirk mit dem Bevölkerungsrückgang fertig werden könne.

Christian Bernreiter betonte, der Termin für das Projekt sei schon im Herbst 2010 festgelegt worden – lange vor Bekanntwerden der Vorstellungen des von der Staatsregierung eingesetzten Zukunftsrats. Man wolle auch kein „Gegengutachten“ erarbeiten, sagte Bernreiter, um dann darzulegen, dass doch so etwas Ähnliches herauskommen könnte: „Wir wollen darstellen, was wichtig ist für die Region, um mit der demographischen Entwicklung fertig zu werden.“ Dass die Vorschläge des Zukunftsrats, sich bei der Weiterentwicklung Bayerns auf Großstädte zu konzentrieren, dazu nicht geeignet sind – darin waren sich die Landräterunde einig.

Bis zum Sommer 2011 wollen die Landräte und Oberbürgermeister im Dialog mit Wirtschaft, Kammern, Gewerkschaften, Hochschulen, Kirchen und Sozialverbänden Vorschläge entwickeln, wie sich Niederbayern aufstellen muss, um angesichts des Bevölkerungsrückgangs gerüstet zu sein. Die Ergebnisse sollen der Staatsregierung präsentiert werden. Die Runde hat Ministerpräsident Horst Seehofer einen Brief geschrieben und bittet darum, dass die Vorschläge im Kabinett diskutiert werden. Regens Landrat Heinz Wölfl betonte, es sei wichtig, das Bewusstsein für die Probleme des ländlichen Raumes zu stärken.

Unterstützung

Unterstützt werden die Landräte und Oberbürgermeister von dem Demographie-Experten Prof. Herwig Birg, der auch schon den Bundespräsidenten und mehrere Landesregierungen beraten hat. Das Ergebnis soll im Sommer 2011 der Staatsregierung präsentiert werden. Laut Prof. Birg würde die Einwohnerzahl ohne Zuwanderung in Deutschland von 82 Millionen im Jahr 1995 auf 24 bis 32 Millionen im Jahr 2100 zurückgehen. Entscheidend für die Bevölkerungsentwicklung in einzelnen Regionen sei deshalb nicht die Geburtenrate, sondern die Zahl der Zu- und Wegzüge. Für Niederbayern gehe es nun darum, die Position in diesem härter werdenden Wettbewerb um die Menschen zu verbessern.

Bevölkerungsrückgang

Die Zahl der 19- bis 60-Jährigen, also die arbeitende Bevölkerung, wird von 2008 bis 2028 niederbayernweit um 13,5 Prozent zurückgehen. Die Grenzlandkreise im Bayerwald werden besonders stark betroffen sein: Für den Landkreis Freyung-Grafenau ist ein Minus von 26 Prozent vorhergesagt, für den Landkreis Regen um 27,9 Prozent. Der Bevölkerungsrückgang sei nicht aufzuhalten, so Demographie-Experte Prof. Herwig Birg. Ziel müsse es sein, die Position der Region im Wettbewerb um die Menschen zu verbessern, erläuterte er seine Aufgabe.

Weniger Einwohner bedeutet weniger Förderung, das senkt die Möglichkeiten, die jungen Leute im Landkreis zu halten. Am anderen Ende der Skala steht die Stadt Landshut. Für die wird ein Rückgang um vergleichsweise geringe 5,6 Prozent vorhergesagt. Weil Landshut zum Einzugsbereich von München gehört, hätte die Stadt von einer Politik, wie sie der Zukunftsrat vorschlägt, keine Probleme.

Kritik am Zukunftsrat

Prof. Herwig Birg

Birg kritisierte die Überlegungen des Zukunftsrats, die Großstädte auf Kosten des ländlichen Raums zu stärken. Gleichwertige Lebensverhältnisse hätten Verfassungsrang. Der Begriff sei freilich so schwammig, dass er nicht eingeklagt werden könne. Trotzdem müssten die verantwortlichen Politiker immer wieder daran erinnert werden. „Den Begriff Leistungszentren nur auf Großstädte anzuwenden, ist ein Fehler. Auch in Niederbayern wird etwas geleistet“, kritisierte Birg.

Von der Besetzung des Zukunftsrats der Staatsregierung hält der Bevölkerungswissenschaftler wenig. Es seien keine ausgewiesenen Experten auf dem Feld der Demografie vertreten.

Bayerischer Landtag

  • FDP: „Wir haben uns klar distanziert von den Empfehlungen des Zukunftsrates, wir werden ihnen nicht folgen“ (Thomas Dechant).
  • SPD: „Wir sind kein Anhängsel von Leistungszentren“ (Annette Karl). Sie schlug mit ihrer Fraktion vor, den ländlichen Räumen Regionalbudget zu geben - schließlich wisse man vor Ort viel besser als München, was nötig sei.
  • Die Grünen: Thomas Mütze von den Grünen kritisierte, es könne nicht sein, dass der Eindruck erweckt werde, dass Regionen sich außerhalb des restlichen Bayern orientieren und entwickeln müssten. „Der Zukunftsrat hat sich vergaloppiert“, so Mütze.
  • Freie Wähler:Für die Freien Wähler befand Alexander Muthmann, die „Erkenntnisse des Zukunftsrates“ hätten „die Menschen bis ins Mark schockiert“.
  • CSU: Alexander König, CSU-Abgeordneter aus dem oberfränkischen Hof, macht im Plenum des Landtags klar, dass die ländlichen Räume „eigenständige zukunftsfähige Räume“ seien, nicht bloß „Rückzugs- oder Schlaf-Räume für Pendler“. Alle Landesteile hätten „ein Recht auf Zukunft“, sagte König und forderte eine bessere Infrastruktur und Einzelförderung sowie mehr und höhere Bildungseinrichtungen.

Gerhard Waschler

Der frühere CSU-Landtagsabgeordnete und Passauer CSU-Chef Gerhard Waschler hat sich mit klarer Kritik am Zukunftsrats-Gutachten an Seehofer gewandt. „Der Zukunftsrat ist mit seinen Äußerungen zur Abkoppelung des ländlichen Raums [...] und damit der Abqualifizierung des ländlichen Raums zu einem Naherholungsgebiet der Metropolen weit über das Ziel hinaus geschossen“, schreibt er in einem Brief. Laut Waschler sei es nun „dringend geboten“, dass die Staatsregierung die „berechtigte Verärgerung“ vor Ort zum Anlass nimmt, „in bisher nicht gekanntem Ausmaß den ländlichen Raum zu fördern“, so Waschler. Für ihn gehöre dazu an erster Stelle die Ausweisung qualifizierter Arbeitsplätze im Bereich Forschung und technischer Entwicklung, um so einer weiteren Abwanderung qualifizierter junger Hochschulzugangsberechtigter Einhalt zu gebieten.

In dem Brief an Seehofer formuliert Waschler zudem eine Reihe von Maßnahmen, die zur Stärkung der Region notwendig seien: verstärkte Behördenauslagerungen, die schnellstmögliche Fertigstellung einer tragfähigen Bahnanbindung Ostbayerns an den Flughafen, die dringende Verwirklichung einer doppelgleisigen Bahnstrecke zwischen Plattling und Dingolfing, der rasche Ausbau der A 94 und der noch bessere Breitbandausbau.

Literatur