Seilerei Eder (Massing)

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Seilermeister Anton Weiß

Die Seilerei Eder war ein Handwerksbetrieb in Pfarrkirchen (Landkreis Rottal-Inn), der von 1838 bis zirka 1950 bestand. Die Seilerhütte wurde 2011 in das Freilichtmuseum Massing transferiert und ist dort dem Ensemble Marxensölde zugeordnet.

Beschreibung

Die Seilerhütte ist ein 28 m langer und 3 m breiter verbretterter ziegelgedeckter Holzbau. Sie ist an allen Seiten geschlossen, hat jedoch nach Osten ein großes ursprünglich nicht verglastes Fensterband, durch das reich Licht fällt und den Raum, dessen Luft bei der Arbeit durch Fasern belastet ist, belüftet. Die südliche Schmalseite des Bauwerks ist mit einem Tor ausgestattet, damit dort zur Herstellung langer Seile auf die Straße hinaus gearbeitet werden kann.
Der nördliche Kopf der Hütte, wo die wertvolleren Geräte aufgestellt und die Werkzeuge untergebracht sind, ist breiter und mit bereits ursprünglich verglasten Fenstern versehen. Diese Werkstatt kann im Winter mit einem kleinen Ofen beheizt und durch ein zweiflügeliges Tor von der offenen Seilerbahn abgetrennt werden.

Geschichte

Um 1910 präsentiert sich das Ehepaar Josef und Theresia Eder an der Sonnenseite eines Bauernhofs mit einer großen Rolle Seil, außerdem einigen dünneren Stricken. Die abgebildeten Kinder sind vermutlich die Tochter Aloisia (links) und die Nichte Maria Magdalena Eichinger, außerdem Franz (Xaver). Der jüngere der beiden Männer, der wie der Meister einen Schurz trägt, kann ein Geselle sein. Der ältere, mit einer Weste bekleidet, ist vielleicht der Bauer, bei dem die Seiler auf Stör gearbeitet haben.

Jahrzehnte stand die Hütte der Seilerei Eder in Pfarrkirchen ungenutzt. Denn bereits im Oktober 1944 war der letzte Seilermeister, Josef Eder jun., gestorben. Um 1924 war der einfache erdgeschossige Holzbau errichtet worden. Im Museum ist die Hütte dem Ensemble Marxensölde zugeordnet. So wird die lange Zeit gebräuchliche Kombination von Landhandwerk und bäuerlicher Selbstversorgung dokumentiert.

Vier Generationen haben die Seilerei Eder betrieben. Franz Eder, ein Zimmerer, hat den Betrieb 1838 gegründet, sein Sohn Lorenz – er war bereits gelernter Seiler – hat ihn fortgeführt. Ihm folgte ohne besonderen wirtschaftlichen Erfolg sein Sohn Josef. Dessen jüngster Sohn, der ebenfalls Josef hieß, betrieb Seilerei, Warenhandel und Geschäftsbetrieb (ab 1938 mit einem Ladengeschäft) mit großem Geschick.

Museum

Die Seilerei Eder hat in ihrer differenzierten didaktischen Erschließung und der bauphysikalischen Präventionsarbeit (Witterungsschutz) neue Maßstäbe in den Freilichtmuseen gesetzt.
Für das Freilichtmuseum Massing war sie nach langer Verzögerung ein erster Schritt zur Realisierung der von Museumsleiter Dr. Martin Ortmeier im Jahr 1989 konzipierten Baugruppe Rottal-Inn, die neben der Marxensölde, abgesetzt vom großen Kochhof, mehrere Landhandwerker-Sölden – u.a. eine Hafnerei und eine Schmiede oder Landmaschinenwerkstätte – in einem Dorf vereinen sollte.

Translozierung

Die Seilerhütte wurde in Pfarrkirchen bereits 2003 bis 2004 aufgemessen[1] (†Walter Kuhn Dipl. Ing. FH) und photographisch (Fotografenmeister Josef Lang) dokumentiert. Inge Hitzenberger M.A. hat volkskundliche Interviews mit Gewährsleuten geführt[2]. Die erhaltenen Amtsakten in Landshut und Pfarrkirchen haben für das Freilichtmuseum Ernst Höntze M.A. und Inge Hitzenberger M.A. ausgehoben.

Mit finanzieller Unterstützung der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen wurde in den Jahren 2004 bis 2006 zudem Reinigung, Schädlingsbekämpfung, Inventarisierung und z.T. auch Restaurierung des mehr als tausend Objekte umfassenden Nachlasses der Katharina Eder (1907–1987) geleistet.

Begleitend zur Inventarisierung hat Ernst Höntze M.A. einen Leitfaden für den museumspraktischen Umgang mit den Dingen traditioneller Seilerei angefertigt: „Handreichungen zur Inventarisierung von Seilereigeräten (Seilerei-Leitfaden)“ (s.u.).

Der Plan des Museumsleiters, die Pfarrkirchener Seilerhütte ins Museum zu transferieren und sie dort in der Nachbarschaft der Marxensölde funktionstüchtig wieder herzustellen, konnte lange Zeit mangels Personal[3] und Finanzen[4] nicht erfüllt werden.
Erst 2009 konnte, weil das Museum eine Förderung aus Mitteln der Europäischen Union erwirken konnte, eine Übertragung begonnen werden, die 2011 abgeschlossen wurde.

Ausstattung und didaktische Erschließung

Mit der Seilerlehre am Kammgeschirr
Josef Eder und Bischof em. Franz Xaver Eder bei der Eröffnung der Seilerhütte am 8. April 2011

Im Museum ist die Seilerei Eder voll funktionsfähig wieder hergestellt und mit allen erforderlichen Geräten ausgestattet. Vitrinen mit Sammlungsstücken, historische Lehrfilme, Texte und Bilder informieren über die Themen „Von der Faser zum Seil“, das „Seilerhandwerk“, die „Geschichte der Seilerei Eder in Pfarrkirchen“ und die „Geschichte der Seilerei Sachenbacher in Vilsbiburg“.
Aus der Vilsbiburger Seilerei stammen einige wertvolle alte Maschinen, mit denen die Museumsseilerei nun eingerichtet ist.

Medientechnik und Vitrinen sind kälte- und feuchterobust ausgeführt, die Verglasung der östlichen Wandöffnungen ist für großflächige dichte Informationseinheiten genutzt.

In der Seilerhütte organisiert die Museumspädagogin Roswitha Klingshirn regelmäßig Handwerksvorführungen (Seilermeister Anton Weiß aus Mühldorf).

Daten

  • 2009–2011 Übertragung, Eröffnung 8. April 2011
  • Kosten: ca. 118 000 € (Zweckverband Niederbayerische Freilichtmuseen, Förderung: Europäische Union)
  • Rekonstruktions- und Ausstattungskonzept: Dr. Martin Ortmeier (Beratung: Georg Waldemer, Landesstelle für die Betreuung der nichtstaatlichen Museen in Bayern)
  • Didaktische Erschließung (Ausstellung, Texte): Dr. Martin Ortmeier
  • Gestaltung (Ausstattung): Dr. Winfried Helm, Büro Theorie&Praxis
  • Aufmaß: †Walter Kuhn Dipl. Ing. FH
  • Bau: Axel Will Dipl.-Ing. FH (Aufmaßnachträge), Hermann Lichtnecker Dipl.-Ing. FH
  • Inventarisierung und Ausstattung: Hans Eichinger

Literatur

  • Ernst Höntze. Seilerei-Leitfaden. Handreichung zur Inventarisierung von Seilereigeräten. Landshut 2006 (= Inventarisierungsleitfaden der Freilichtmuseen Finsterau und Massing, Bd. 5, hgg. von Martin Ortmeier)
  • Martin Ortmeier: Die Seilerei Eder in Pfarrkirchen. Eine ganzheitliche Dokumentation des Freilichtmuseums Massing. In: Barteit, Peter und Cornelia Renner (Hgg.). Zwischen Milchweidling und Stichbogen. Festschrift für Lambert Grasmann. (= Vilsbiburger Museumsschrift 9), Vilsbiburg 2007, S. 188–197
  • Martin Ortmeier: Das Ganze und seine Vermittlung. Die Rekonstruktion der Seilerei Eder im Freilichtmuseum Massing. In: Passauer Kunst Blätter 48 (2-2011), S. 31–32
  • PNP: Seilerhütte im Freilichtmuseum eröffnet. In: Passauer Neue Presse vom 29. April 2011 (S. 26)
  • Martin Ortmeier: Etliche Leitfäden zur Inventarisierung von Zeug und Werkzeug, hilfsweise. In: Thomas Schindler (Hg.): HammerHart?! Werkzeugforschung und Werkzeugvermittlung in Bayern. Gesammelte Beiträge der Tagung im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim vom 23. bis zum 25. Juli 2015. Bad Windsheim 2016, S. 145–153

Weblinks

Anmerkungen

  1. Aufmaß: verformungsgerecht, im Maßstab 1:25, Graphitstift auf Karton
  2. Volkskundliche Interviews im Auftrag des Freilichtmuseums Massing: Inge Hitzenberger M.A., mit Dipl.-Ing. Josef Eder am 19. September 2003, mit Altbischof Dr. Franz Xaver Eder (1925–2013) am 4. Februar 2004. Dr. Franz Xaver Eder war Sohn von Franz Eder (1896–1927), Bruder des Seilermeisters Josef Eder (1903–1944); Zusammenfassung: Archiv Freilichtmuseum Massing, Az. F 5.5.61
  3. Das Museum verfügte, anders als die sonstigen bayerischen Freilichtmuseen, weder über eine wissenschaftliche Assistenz des Museumsleiters noch über eine bauhistorisch qualifizierte Bauleitung.
  4. Insbesondere die Landrätin des an der Trägerschaft des Museums beteiligten Landkreises Rottal-Inn, Bruni Mayer („Wir brauchen keine neuen Höfe mehr“), blockierte Baumaßnahmen im Freilichtmuseum Massing, sodass dieses in seiner Entwicklung hinter das Schwestermuseum in Finsterau zurückfiel. Siehe: PNP, 20. Oktober 2004, S. 1 und PNP, Landkreis Rottal-Inn, 4. Dezember 2004