Glasfabrik Riedlhütte

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Das Bleikristallwerk Riedlhütte. (Foto: Rücker)

Die Glasfabrik Riedlhütte war eine Glasfabrik in Riedlhütte im Landkreis Freyung-Grafenau. Die ersten Anfänge der Riedlhütte gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück, womit sie zu den ältesten Glashütten des Bayerischen Waldes zählte. Sie beschäftigte bis zu 1.650 Mitarbeiter, die sich der kunstvollen handwerklichen Verarbeitung des Werkstoffs Bleikristall widmeten. Das Werk ist zum 23. Dezember 2009 geschlossen worden. Knapp 210 Menschen verloren damit ihren Arbeitsplatz.

Geschichte

Die Riedlhütte

Schon um 1450 nahm Peter Smirslick bei einem Überfall auf die Stadt Grafenau und die Dörfer Höhenbrunn und Reichenberg Glasmacher gefangen. Daraus ist zu schließen, dass schon damals eine Glashütte auf dem Reichenberg existierte. 1488 wird die Hütte am Reichenberg erstmals urkundlich im Scharwerksgeldregister der Herrschaft Bärnstein erwähnt. Damit ist sie eine der ältesten Glashütten im Bayerischen Wald. 1527 übernahm Hüttenmeister Georg Riedl die Reichenberger Hütte. Durch die Riedls erhielt die Glashütte und die gesamte Ortschaft den Namen Riedlhütte.

Auf Georg folgte Wolf Riedl, der 1577 erwähnt wird, auf diesen Gotthard Riedl. Dessen Witwe heiratete 1607 Mathias Greippel. 1617 war der Bürger und Bäckermeister Sebastian Aufschläger aus Grafenau Besitzer der Riedlhütte. 1623 finden wir in Riedlhütte Adam Wieland als Glashüttenmeister. Die Hütte, die während des Dreißigjährigen Krieges verfiel, übernahm 1652 Hans Wilhelm von Poschinger. Schließlich wurde die Riedlhütte 1681 an Philipp und Barbara Thürschweckl aus Zwiesel verkauft. 1686 kam die Riedlhütte an den Hüttenmeisterssohn Dominikus Landgraf, der sie am 6. April 1695 an Zacharias Hilz aus der Glashüttenherrenfamilie Hilz verkaufte. Über Christian und Johann Michael gelangte der Besitz an Anton Hilz, der 1833 sein Hüttengut einschließlich einem Waldbesitz von 8.000 Tagwerk Wald an den Staat verkaufte.

1834 wurde die Riedlhütte von Heinrich Brandenburg in Wunsiedel und seinem Schwiegersohn Gottlieb Roscher in Regensburg erworben. Sie erhielt den Fimennamen Gottlieb Roscher. 1838 übernahm Heinrich Brandenburg jun. die Unternehmensleitung. 1872 ging der volle Besitz an die Firma Gottlieb Roscher. 1907 übernahm die Firma F. X. Nachtmann in Neustadt an der Waldnaab zunächst pachtweise und wenige Jahre später im vollen Eigentum die Glashütte.

Nachtmann

Eine Aufnahme der Glasfabrik aus dem Jahr 1925. (Foto: Steger)

Im Jahr 1834 gründete der Glasmacher Michael Nachtmann bei Waldmünchen (Oberpfalz) das Unternehmen F.X. Nachtmann. Er stellte mit 25 Beschäftigten Trinkgläser, Krüge und Flaschen her. Sein Schwiegersohn Zacharias Frank übernahm 1900 das Unternehmen und verlagerte den Unternehmenssitz nach Neustadt an der Waldnaab, wo sich noch heute die Firmenzentrale befindet. 1907 gliederte er die Kristallfabrik Riedlhütte an. 1920 baute das Unternehmen seinen Standort Riedlhütte aus. Zudem wurde ein neues Werk in Amberg errichtet. In den Nachkriegsjahren baut Nachtmann die teilweise zerstörten Produktionsanlagen wieder auf und startete erneut mit der Fertigung von Bleikristall in Neustadt und Riedlhütte.

1969 firmierte das Unternehmen zur F.X. Nachtmann Bleikristall KG. Zehn Jahre später änderte Nachtmann seine Rechtsform in eine AG. Der Grundstein für das dritte, hochmoderne Bleikristallwerk in Weiden wurde im Jahr 1983 gelegt. 1990 erwarb die Nachtmann-Gruppe die traditionsreiche Kristallglasfabrik Spiegelau mit ihren Werken in Spiegelau und Frauenau. Im Jahr 1991 ging das Unternehmen durch die Gründung der Kristallglasfabrik Amberg GmbH eine Produktionskooperation mit der Rosenthal AG in Selb ein, wobei die technische und kaufmännische Führung bei Nachtmann blieb.

Aus der Firma Nachtmann wurde 1993 die Aktiengesellschaft F.X. Nachtmann Crystal AG. Sie übernahm 1995 die Anteile der Rosenthal AG an der Kristallglasfabrik Amberg und hält seit 1997 einen Kapitalanteil von fast 90%.

2004 übernahm der Mitbewerber Riedel Glas 100% der Aktien der Nachtmann Crystal AG.

Werksschließung Riedlhütte

Überblick

Das letzte Glas läuft vom Band

Nachtmann hat am 9. Juli 2009 angekündigt, das Werk Riedlhütte bis zum Jahresende zu schließen. Etwa 180 Angestellte waren direkt betroffen, den anderen 30 Gloserern wurden Stellen in Weiden angeboten. Hintergrund sei die Wirtschaftskrise und das veränderte Marktumfeld. Davon sei besonders das Bleikristall betroffen, das in Riedlhütte hergestellt wird. Nachtmann wolle deshalb seine gesamte Fertigung dieser Glasart im Werk Weiden in der Oberpfalz bündeln. Zwei Linien aus Riedlhütte sollen nach Weiden verlegt werden. Der Umsatzeinbruch bei Nachtmann von 25 Prozent, und die Tatsache, dass von den Kunden keine Signale für eine mittelfristige Besserung kämen, hätten keine andere Wahl gelassen.

Nach zwei Monaten Kurzarbeit war im Juni 2009 Hoffnung aufgekommen, als wieder im vollem Umfang produziert wurde. Gearbeitet wurde in drei Linien. In fünf Schichten wurden vollautomatisch Hohlgläser hergestellt.

„Wir sind Nachtmanns bester Produzent“ weiß Betriebsratvorsitzender Georg Seidl. Damit glaubte man sich auf der sicheren Seite. „Wenn es bisher Probleme gab, haben wir Kompromisse gefunden.“ So verzichteten die Mitarbeiter auch auf Weihnachts- oder Urlaubsgeld, nur damit niemand entlassen werden musste. Kurz vor der Schließung schrieb Georg Seidl im Namen der Belegschaft an die Firmenchefs Riedl und Alois Kaufmann einen offenen Brief. Er wollte sie bitten, die Maßnahmen nochmals intensiv zu prüfen. Die Schließung konnte dennoch nicht abgewendet werden.

Wütend sind die Glasmacher, weil sie die Gründe für die Schließung nicht nachvollziehen können. „Bleikristall ist nicht mehr zu verkaufen“, wurde am 8. Juli argumentiert. Doch die Praxis sah anders aus. Mehrfach wurde der letzte Produktionstag verschoben, weil Aufträge über Aufträge eingingen. Die Maschinen werden in Riedlhütte ab- und im Werk Weiden wieder aufgebaut werden. Die Produktion wird lediglich verlagert. Die Schließung der Glasfabrik Riedlhütte ist teuer – von 10 bis 12 Millionen ist die Rede. „Wir haben der Firmenleitung ständig Vorschläge gemacht, wie das Geld sinnvoll in eine Erneuerung unserer Glashütte gesteckt werden könnte“, berichtet Betriebsratsvorsitzender Georg Seidl. „Man hat überhaupt nicht darauf reagiert.“ Ideen, die die Belegschaft in Riedlhütte hatte, werden nun in Weiden umgesetzt.

Nach der Einstellung der Glasherstellung am 23. Dezember 2009 wurden die Produktions-linien nach Weiden transportiert, wo Bleikristall weiter produziert wird. Auch alle zwölf Riedlhütter Glasschleifmaschinen haben im Weidener Nachtmann-Werk ihren Betrieb aufgenommen. Nach und nach ging die Riedlhütter Belegschaft in die Transfergesellschaft Ostbayern. Die letzten 41 Frauen und Männer von rund 260 ehemaligen Nachtmännern verloren am 30. April 2010 ihren Arbeitsplatz.

Die Glastradition soll aber weiterleben. Engelbert Wandtner und Erhard Köck, die letzten beiden „Hüttenherren“am Ort, haben die Vision eines repräsentativen Glaspavillons, wo gemeinsam in größerem Rahmen Produkte der Region angeboten werden können. Die Möglichkeit muss schnell ergriffen werden, schließlich ist Riedlhütte noch ein Teil der Glasstraße und wird immer noch von Touristen besucht.

Die „Nachtmann-Lüge“

Die sogannte „Nachtmann-Lüge“ führte zu großer Wut unter den betroffenen Mitarbeitern der Riedlhütte, die ihren Arbeitsplatz durch die Schließung des Werkes verloren haben. Als Begründung für die Schließung der Riedlhütte wurde von Nachtmann angeführt, dass Bleikristall nicht mehr zu verkaufen sei, Schliffgläser würden von den Kunden nicht mehr nachgefragt, Säurepolieren wäre zu teuer geworden, deshalb müsse das Riedlhütter Werk geschlossen werden.

Nach der Schließung der Riedlhütte wurden aber zwei Glas-Produktionslinien in Weiden aufgebaut, einem weiteren Standort der Nachtmann Bleikristallwerke. Ein Teil der modernsten Säurepolieranlage Europas wurde in Riedlhütte abgebaut und in Weiden wieder aufgebaut. Alle neun Schleifmaschinen wurden nach Weiden verfrachtet und auch die dritte Glas-Produktionslinie wurde nach Frauenau umgesiedelt.

Region forderte einen Glaspakt

Nachdem die Nachricht der geplanten Werksschließung der Glashütte Riedlhütte in der Region eingeschlagen hat wie eine Bombe, forderten die Bürger einen Glaspakt. Die Bürgermeister Helmut Vogl (Sankt Oswald-Riedlhütte), Josef Luksch (Spiegelau) und Herbert Schreiner (Frauenau) forderten ein gläsernes Strukturhilfeprogramm.

Entlang der mit viel Pomp im Jahr 1997 ins Leben gerufenen Glasstraße hätten alle Kommunen mit Arbeitsplatzverlusten und Werksschließungen zu kämpfen, hieß es in dem Schreiben. Der Kernbereich der industriellen Produktion im Bayrischen und Oberpfälzer Wald sei weggebrochen. Als vor einigen Jahren im Ruhrgebiet der Kohleabbau zu Ende ging, gab es eine konzertierte Aktion von Bund und Land, um notwendige Strukturmaßnahmen zu fördern. Diese Maßnahmen hätten gegriffen. „Die Auswirkungen unseres Niederganges sind in allen Geschäftszweigen unserer Region zu verspüren“, sagt Luksch. Sie erbitten nicht, nein sie fordern von Bund und Land ein Projekt für die Glasregion.

Petition

Eine leere Produktionshalle im Werk Riedlhütte. (Foto: Rücker)

Am 28. August 2009 haben die Gemeinde und der Gewerbeverein St. Oswald-Riedlhütte im Zusammenhang mit der Schließung der Glasfabrik Nachtmann eine Petition an Ministerpräsident Horst Seehofer in München übergeben. Er empfing 300 Waidler in der Staatskanzlei. Bei der Übergabe des „Buchs der Solidarität“ mit 5000 Unterschriften versprach der Landesvater Hilfe für Nachtmann und die durch die Glaskrise besonders betroffene Region. Die Petition enthält einen umfangreichen Forderungskatalog an die Politik, um der Region zu helfen, die Nachtmann-Schließung zu verkraften.

MdL Muthmann leitete die Eingabe noch am selben Tag an das Landtagsamt weiter, und von dort erhielt der Vorsitzende des Gewerbevereins, Stephan Zettl, bereits am 2. September die Eingangsbestätigung. Mit dem Zusatz: „Hierzu haben wir eine Stellungnahme der Bayer. Staatsregierung angefordert. Sobald uns diese vorliegt, wird die Eingabe im Ausschuss für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie behandelt werden. Die dafür notwendigen Feststellungen nehmen in der Regel einige Zeit in Anspruch, Wir dürfen Sie deshalb um Geduld bitten.“

Förderprogramm

Als erste Inhalte eines möglichen Förderprogrammes wurden folgende Punkte angegeben:

  1. Bereitstellung von Risikokapital für Firmenneugründungen oder für bestehende Firmen
  2. Förderung der Bereitstellung von Ausgleichsgewerbeflächen, um Aussiedlungen und Neugründungen zu ermöglichen
  3. Bevorzugter und finanziell gut ausgestatteter Ausbau der Breitbandversorgung, um diesen wesentlichen Standortnachteil der Region ausgleichen zu können
  4. Höchstmögliche Fördersätze für Firmeninvestitionen in die Region und schnelle Auszahlung dieser Gelder an die Investoren
  5. Einführung eines Leerstandsmanagements für diejenigen Gewerbeflächen, die im Rahmen des Abbaues der Glasindustrie frei werden

„Sollten Bund und Land sich nicht für ein solches Paket entscheiden können, würde ich daraus schließen, dass es politischer Wille wäre, den bayrischen Wald zu entvölkern“, so Luksch. Die Konzernleitung will wohl vorerst am Standort Frauenau nicht rütteln, dennoch geht unter den Mitarbeitern die Angst um.

Sozialplan

Die letzten Glasmacher der Region

Die Hoffnung, die Glasfabrik könnte vor der Schließung bewahrt werden, war längst aufgegeben. Stattdessen ging es um einen möglichst guten Sozialplan. Dieser ist nun abgeschlossen. Damit ist besiegelt, wann und wie das Ende der Hütte kommt. Nachtmann hatte in den Verhandlungen eine Abfindung von 1,5 Millionen Euro angeboten. Das war inakzeptabel für die Belegschaft. Nachdem es zu keiner Einigung gekommen war, wandte man sich an die Schlichtungsstelle. Acht Stunden dauerte der Versuch eines Kompromisses.

Es trifft die Produktion mit rund 60 Mitarbeitern. Die Produktion, die noch in fünf Schichten läuft, beendet die Arbeit zum 20. Oktober 2009. Die Mitarbeiter steigen zum 1. November in die Transfergesellschaft ein. Zum 1. Januar folgen die Kollegen aus der Nacharbeit, zum 1. März schließlich jene, die die Maschinen in Riedlhütte ab- und in Weiden wieder aufbauen müssen. Die Transfergesellschaften werden ein Jahr lang arbeiten. Über die Summe, die jeder Mitarbeiter pro Betriebsjahr als Abfindung erhält, wurde Stillschweigen vereinbart. Insgesamt umfasst der Sozialplan eine Summe von gut 5 Millionen Euro.

Die 260 Beschäftigten nahmen die Nachricht relativ ruhig auf. Dass es keine Rettung für die Glasfabrik gab, war allen klar geworden. Anfang 2010 sind die ersten 169 Personen der Belegschaft in die Transfergesellschaft Ostbayern eingetreten. Für das gesamte Jahr 2010 sind sie mit 88 Prozent ihres letzten Lohnes abgesichert. Etwa 40 Prozent haben eine feste Arbeit gefunden. Etliche leisten mit der Aussicht auf Übernahme Praktika in Firmen ab. Andere wiederum, besonders die Älteren, haben Probleme damit, einen Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu schaffen. Im Herbst 2010 schließt die erste, im Frühjahr 2011 die anderen beiden. Was dann kommt, ist Arbeitslosengeld, anschließend nach einem weiteren Jahr schlimmstenfalls Hartz IV.

Das zukünftige „Riedlhütter-Glasdenkmal“. (Foto: Mayer)

Technologiezentrum Glas

Gemeinsam mit der Gemeinde Spiegelau wolle man das Technologieanwenderzentrum Glas realisieren. Dieses Projekt wurde mittlerweile zu einem Gemeinschaftsprojekt zwischen Gemeinde und Landkreis, wobei der Landkreis bereit sei, bis zu 75 Prozent der Kosten zu übernehmen.

Denkmal-Aktion

Ehemalige und jetzige Glasmacher und Glaskünstler der Zwieseler Fachschule gestalten im April 2010 ein kunstvolles Glaskreuz als Symbol für 580 Jahre Glastradition in der Riedlhütte. Nach dem Aus der Glasfabrik sprechen manche von einem „Totenkreuz“. Auf einem rund zwei Meter großen Edelstahl-Grundrahmen, der vom Schlosser Karl Heinz Schwiewagner gefertigt wurde, wurden einzelne, gegossene Glasplatten angebracht. Darunter ist das „Unendlichzeichen“, das mit einer Perlenkette aus weißen und grünen Perlen verziert ist. Die grünen Perlen sollen an die Waldglas-Herstellung von mehreren hundert Jahren erinnern.

Das neue „Riedlhütter-Mahnmal“ wird auf einen großen Granit-Findling befestigt und soll vor dem Nachtmann-Gelände aufgestellt und eingeweiht werden. Der Entwurf für das Glaskreuz stammt von Willi Steger.

Literatur

Weblinks