Erdstall

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Das Innere eines Schrazlganges zeigt dieses Foto von Karl Edenhofer aus Kleinwiesen.

Als Erdstall (ugs. auch Schrazelloch oder Schrazelgang) wird ein im Mittelalter von Menschenhand geschaffenes, nicht ausgemauertes unterirdisches Gangsystem bezeichnet. Besonders viele Erdställe gibt es im Bayerischen Wald.

Beschreibung

Das Wort Erdstall verweist auf eine Stelle in der Erde. Die in Bayern geläufigeren Begriffe Schrazelloch bzw. Schrazelgang ist abgeleitet von „Schrazeln“, zwergenartigen Schutzgeistern, die der Sage nach in Erdlöchern wohnen. Diese Zwerge sollen dem Volksglauben nach die Erdställe gegraben haben.

Man weiß, dass Erdställe vor mindestens 1000 Jahren in ganz Bayern, in Österreich, Frankreich und Irland entstanden. Bodenuntersuchungen einiger Anlagen ergaben, dass sie im Zeitraum vom 10. bis 12. Jahrhundert angelegt wurden. Eine Zeitspanne, in der nichts über eine Besiedelung der betreffenden Gebiete bekannt ist. Dennoch gibt es allein 700 Erdställe in Bayern, davon sehr viele nördlich der Donau zwischen Passau und dem Bayerischen Wald. Der Gedanke ihrer Konstruktion muss in einem zusammenhängenden Zeitraum, auch wenn er Jahrhunderte umfasste, von Volk zu Volk weitergetragen worden sein. Labyrinthisch durchziehen sie Kirchberge, Friedhöfe und den Untergrund alter Siedlungsplätze. Die Gänge sind meist winkelig angeordnet, bis zu 0,6 Meter breit und nur 1,0 bis 1,4 Meter hoch. Vielfach gibt es Lampennischen sowie kammerartige Erweiterungen und Sitznischen. Engstellen, die nur kriechend passiert werden können, werden als „Schlupf“ bezeichnet.

Der Zweck der Erdställe ist bis heute unklar. Es gibt zwei Thesen, die einander gegenüberstehen: Einerseits könnten sie als Fluchtwege oder Versteck gedient haben. Dagegen spricht aber die Tatsache, dass rund 90 Prozent der Gänge weder Belüftungsschächte noch Ausgänge haben. Andererseits könnte es sich bei den Erdställen um Kultstätten handeln, worauf auch die Wortbedeutung hinweisen würde. Desweiterem liegt der Schlüssel zum Verständnis der Erdställe in der vorchristlichen Religion Europas, die im Hochmittelalter da und dort durchaus noch existierte. Und in den Labyrinthsystemen wurde die uralte sakrale Weisheit unserer heidnischen Vorfahren bis weit in die christliche Ära hinein bewahrt.

Meist werden die Gänge bei Aushubarbeiten zufällig gefunden. Die Angst der Bauherren oder Grundbesitzer, dass ihnen bei der vorgeschriebenen Meldung der Bau eingestellt oder hinausgeschoben wird, ist unbegründet. Wenn ein solches Objekt aufgefunden wird, kommt der Kreisheimatpfleger und fotografiert, vermisst und nach Rücksprache mit dem zuständigen Denkmalamt ist sie in kurzer Zeit wieder freigegeben. Nur wenn es sich um ein herausragendes, einmaliges Bodendenkmal handelt – wie etwa beim Röhrnbacher Schrazelgang –, können weitere Maßnahmen zur Sicherung von Kulturdenkmälern erforderlich sein.

Übersicht

In Niederbayern sowie im Landkreis Altötting gibt es dutzende Erdställe bzw. Schrazellöcher, unter anderem die Folgenden:

Trivia

In seinem 2015 Buch stellte der Schriftsteller Manfred Böckl, der sich seit den 1980er Jahren mit den Erdställen beschäftigt, die Theorie auf, die Erdställe seien ein letztes Refugium der keltischen Religion. Die Verbreitung der Erdställe deckt sich mit jener der keltischen Kultur – und nicht mit dem Verbreitungsgebiet des Christentums. Die Gänge sind zu der Zeit entstanden, als die heidnische Religion in den Gebieten der Kelten vom Christentum verdrängt wurde. Der alte Glaube wurde von der Oberfläche unter die Erde verlagert. Gerade in abgelegenen Gebieten wie im Bayerischen Wald bewahrte sich die heidnische Religion besonders hartnäckig.

Literatur

Weblinks